Friedrich Bodenstedt             An mein Söhnchen

1819 – 1892

Du prächtig Kind, du frisches, junges Leben,

Mir geht das Herz auf, wenn dein Auge lacht;

Durch dich zu neuem Sein bin ich erwacht –

Dank, Dank dem Himmel, der dich mir gegeben.

 

Wie dunkle Wolken sah ich’s um mich schweben,

Und außer mir und in mir ward es Nacht;

Da gingst du auf in ros’ger Morgenpracht,

In dir verjüngt sah ich mich selber leben.

 

O möge Gott in Gnaden dich bewahren

Vor allem Weh und Leid, das ich erfahren!

Er segne dich, mein Kind, mit beiden Händen!

 

Was mir versagt ward, mög’ er dir gewähren,

Was in mir trübe war, in dir verklären,

Was in mir Stückwerk blieb, in dir vollenden!

 

 

 

 

Friedrich Martin                    Der Gießbach

von Bodenstedt                     

1819 – 1892

I.

 

Der Gießbach donnert durch den Felsenspalt,

Sprüht weitum Silberstaub auf Moos und Bäume;

Sein frischer Hauch weht Kühlung durch die Räume,

Die Luft erbebt von seiner Sturmgewalt.

 

Von Fels zu Felsen springt er ohne Halt,

Als droht’ ihm jäh Verderben, wenn er säume –

Derweil tief unten aus dem Flutgeschäume

Ein dumpf geheimnisvolles Murmeln schallt

 

Wie eine Stimme Gottes aus der Tiefe,

Die ihn herab von seinen Höhen riefe –

Und im krystallnen kleid voll Glanz und Schimmer

 

Stürzt er in wilder Brauselust hernieder;

Doch unerschöpflich rauscht er oben wieder,

Ein andrer stets und doch derselbe immer!

 

 

II.

 

Gern flücht’ ich mich in deine Schattenkühle

Und höre dein melodisch Rauschen, sehe

Dein Flutgewog’, vergesse Leid und Wehe,

Als ob es deine Welle von mir spüle.

 

Wie weckst du mir so heilige Gefühle,

Daß ich in stummer Andacht vor dir stehe,

als ob ein Hauch des Ewigen mich umwehe,

Und ich mich ganz wie neugeboren fühle.

 

Ahnung durchschauert mich in deiner Nähe,

wie wenn ich in der lichtgewob’nen Hülle

Den Urquell aller Dinge vor mir sähe:

 

Das All durchflutend, zeugend und ernährend,

Geheimnißvoll, in unerschöpfter Fülle

Sich immer neu aus eignem Schoos gebärend.

 

 

III.

 

Gedanken brüten auch im Bergeshirne

Und reden aus des Gießbachs Wellenmunde;

Es zuckt ein Herz im starren Felsengrunde,

Von seiner Glut erglüht die eisige Stirne.

 

Der jetzt sein Haupt erhebt in die Gestirne,

Der Berg schlief einst im tiefsten Meeresschlunde;

Er stieg ans Licht – doch kommen wird die Stunde

Wo wieder in den Abgrund stürzt die Firne.

 

Da wird ein Welterschüttern sein, ein Stürmen,

Wie Schnee wird dieser Felsen Erz zerschmelzen,

Klein wird das Große, groß das Kleine werden.

 

Das Meer wird seine flut zu Bergen thürmen,

Die Berge werden sich zur Tiefe wälzen

Und wird ein neues Gottesreich auf Erden.

 

 

IV.

 

Wie mancher wandrer hat hier ausgeruht

Von deines Odems frischem Hauch erquickt,

Wie manches Auge dankbar aufgeblickt

Zu deinem Schneegeschäum in Mittagsglut –

 

Wie du vom Berge springst voll Uebermut,

Umwallt von Silberschleiern reich gestickt;

Und manches würzige Alpenblümlein nickt

Dir zu und netzt sein Haupt in deiner Flut.

 

Und mehr als Blumen hier am Ufer stehen

Sahst du Geschlechter kommen und vergehen

Und spültest weg die Spuren ihrer Füße

 

Derweil du frisch in Jugendfülle brausend

Fortrauschest von Jahrtausend zu Jahrtausend

Und bringst dem fernen Meere Bergesgrüße.

 

 

V.

 

Aus dunkler Scholle springt die klare Quelle,

Hoch über Felsenmauern tiefgeborsten,

Wo in verborgnen Klüften Adler horsten,

Dem Sturz der Wasser gleich an Flugesschnelle.

 

Genährt an Himmelsbrust tränkt ihre Welle

Die Heerden auf der Alm, dasw Wild in Forsten;

Birgt sich im Dickicht unter dem verworr’sten

Gesträuch, wie bangend vor der Tageshelle.

 

Dann plötzlich aus dem kühlen Waldesdunkel

Schießt sie ans Licht mit schäumendem Gefunkel

Und rauscht dem Thale Alpengruß entgegen.

 

Den Wandrer labt sie, weckt ihm Hochgefühle,

Als Bach beim Dorf treibt sie die schattige Mühle,

Und wo sie fließt, blüht Leben, Lust und Segen.

 

 

 

 

Friedrich Martin                    Völkerhass            

von Bodenstedt                     

1819 – 1892                                        Durch Zäune trennt man Herden auf der weide;

Nach Grenzen, die durch Heeresmacht sich änden,

Nach Ursprung, Sitten, Sprachen und Gewändern

Zieht man der Menschheit bunte Völkerscheide.

 

Doch Gott wil nicht, daß Volk und Volk sich meide;

Das Meer, bis zu des Erdballs fernsten Rändern,

Wogt als Vermittler zwischen allen Ländern,

Es trennt zwei Welten und vereint sie bweide.

 

Allein der Vorurtheile fiefe Kluft

Trennt Volk von Volk. Wie Gras auf beiden Seiten

Wuchert die Thorheit, die das Fremde meidet.

 

Doch hohe Bäume ragen durch die Luft,

Die Zweig’ und Krone sich entgegenbreiten,

Der Kluft nicht achtend, die die Wurzeln scheidet.

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Martin                    An Kaiser Alexander II.                 

von Bodenstedt                     

1819 – 1892                                        Schon ein Jahrtausend ist verflossen

Seit Dein gewaltiges Reich gegründet,

Und noch ward nichts davon verkündet,

Als daß es Blut auf Blut vergossen;

 

Stets kampfgerüstet, unverdrossen

Erobernd Krieg auf Krieg entzündet,

Der fremden Thorheit eng verbündet,

Der fremden Weisheit streng verschlossen.

 

Dein war die erste große That,

Als du den dunklen Bann gebrochen

Und das erhabne Wort gesprochen:

 

Mein Volk sei frei! – Dies wird den Pfad

Zu ewigem Ruhm Dir sichrer bahnen,

Als alle Kriege Deiner Ahnen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Martin                    An E. M.                 

von Bodenstedt                     

1819 – 1892                                        Man sagt: es will die Welt betrogen sein,

Wer sie beherrschen will, muß sie betrügen...

Mag, wem da will, solch falsches Glück genügen:

Du weiltest lieber beifallslos allein!

 

Wohl ist die Zahl der Auserwählten klein,

Doch schafft ihr Beifall edleres Vergnügen,

Und lieber hörst du dich von ihnen rügen,

Als die getäuschte Welt dir Beifall schreien.

 

Solch Beifall aus Millionen hohlen Köpfen

Gleicht dem Gebraus des Meers, wo Well’ an Welle

Sich rauschend drängt in wildbewegter Flut.

 

Doch ist kein reiner Trunk daraus zu schöpfen,

Wie aus der frischen, klaren Bergesquelle,

An deren Rand der Wandrer einsam ruht.

 

 

 

 

 

Friedrich Martin                    An eine Freundin                                   

von Bodenstedt                     

1819 – 1892                                       

I.

 

Gar häufig täuscht im Leben uns der Schein –

Die klügste Vorsicht schützt vor Trug nicht immer,

Und Mißtraun macht das Schlimme oft nur schlimmer,

Wo kein Vertraun, kann keine Liebe sein.

 

Doch giebt es Menschen noch so ächt und rein

Wie Diamantenglanz, ihr Blick täuscht nimmer;

Wer solche kennt, den lockt kein falscher Schimmer,

Wie uns kein Irrlicht lockt im Sonnenschein.

 

So fand ich dich, und als ich dich gefunden,

War ich dir schnell in Freundschaft so verbunden

Als wär’s ein Bund aus frühster Kinderzeit.

 

Und nun ich auf ein Kurzes dich muß meiden,

Ist mir das Herz so bang und schwer beim Scheiden

Als wär’s ein Scheiden für die Ewigkeit.

 

 

II.

 

Der Himmel schmückte dich mit reichen Gaben!

Was schon vereinzelt anmuthvoll erscheint,

Verschwenderisch ward es in dir vereint,

Das Herz zu fesseln und den Blick zu laben.

 

Doch nichts Vollkommnes soll die Erde haben –

Das Schicksal hat es ernst mit dir gemeint,

Ich weiß, dein schönes Aug’ hat oft geweint,

In deiner Brust liegt manches Weh begraben.

 

Du aber trugst mit immer gleicher Würde

Des Glückes Gaben, wie des Unglücks Bürde,

Ob seine Schläge noch so schwer dich trafen.

 

Es konnten dich die launenhaften, närr’schen

Tyrannen Glück und Unglück nie beherrschen:

Du bliebest Herrin und sie blieben Sklaven!

 

 

III.

 

Ein Mensch, der stolz und frei durch’s Leben geht,

Gleich groß in trüben wie in heitern Tagen,

Gelassen Glück wie Unglück weiß zu tragen

Erscheint ein Wesen, das man nicht versteht.

 

Die Menge haßt, was frei von ihr besteht,

Nur wer ihr schmeichelt, darf sie überragen,

Doch wer zu stolz zum Schmeicheln und zum Klagen,

Der wird gehaßt, verfolgt wie ein Prophet.

 

Des Weisen Ruhe weckt der Thoren Wuth,

Denn Alles, was den Menschen ungewöhnlich,

Beherrscht sie – oder reizt sie unversöhnlich.

 

Und Wenige nur sind wahrhaft groß und gut –

Der Menschen Mehrzahl bleibt stets in der Kindheit,

Leichtgläubig, kleinlich, offnen Aug’s voll Blindheit.

 

 

 

 

Friedrich Martin                    An Seine Majestät König Maximilian II.           

von Bodenstedt                      (Bei Übersendung meines „Demetrius“.)

1819 – 1892

Empfange huldvoll diese kleine Gabe,

In Deinem Schutz begonnen und vollendet,

Als Opfer reinen Dankes Dir gespendet

Bis ich einst Reiferes zu bieten habe.

 

Meist ehren Könige Dichter nur im Grabe –

Du hast dich zu den Lebenden gewendet,

Dein Sorgen ist: daß And’rer Sorgen endet,

Dein Szepter ward der Kunst zum Zauberstabe.

 

Ein hohes Ziel hast Du uns ausersehen.

Dir bleiben Ruhm und Ehre – wenn wir siegen,

Ruhm auch und Ehre – wenn wir unterliegen.

 

Denn nimmer kann des Fürsten Ruhm vergehn’,

Von dem man sagen muß nach seinem Leben:

Er gab der Kunst mehr als sie ihm gegeben.

 

 

 

 

 

Friedrich Martin                    Einem jungen Brautpaare           

von Bodenstedt                     

1819 – 1892                                        Zu neuem Leben ist die Welt erwacht,

Ihr Herz geht auf, ihr Sonnenauge glüht,

Balsamisch ist ihr Odem, und sie blüht

Wie eine Braut in jungfräulicher Pracht.

 

Euch öffnet sie der Wunder reichsten Schacht –

Nur für die Liebe ist der Lenz erblüht,

Mit süßer Ahnung füllt er das Gemüth

Von Liebeswonne und von Liebesmacht.

 

Erschließt ihm liebend eure Herzen ganz!

Laßt seinen Hauch durch euren Busen wehen,

Nachts wird in schönen Träumen auferstehen

 

Was euch berauscht von Lenzesduft und Glanz –

Und was die schönen Träume euch enthüllen,

Gott mög’ es euch im Leben ganz erfüllen!

 

 

 

 

 

Friedrich Martin                    Frauenschöne 

von Bodenstedt                     

1819 – 1892                                       

I.

 

Oft schien mir, daß Poeten Frauenschöne

Zu überschwenglich und erhaben priesen,

Weil nie sich ganz im Leben mir erwiesen

Was ich verherrlicht fand durch Liebestöne.

 

Bald schien’s, als ob der Geist den Leib verhöhne,

Und möchte schönre Wohnung sich erkiesen,

Bald sah ich Formen, wie aus Paradiesen,

Doch keinen Geist, der sie mit Hoheit kröne.

 

In dir allein fand ich ganz und vollkommen,

was ich als Stückwerk sonst nur wahrgenommen:

Vom Füßchen bis zum haarumwogten Scheitel

 

Bist du von Geist und Schönheit so durchdrungen,

Daß, was man je zum Ruhm der Frau’n gesungen,

Mit dir verglichen nichtig scheint und eitel. -

 

 

II.

 

Dich schuf Natur in einer Festtagslaune,

Hielt dich vor Allem, was entweiht, geborgen,

Daß du uns aufgingst wie ein Maienmorgen,

Und wer dich sieht, vor solcher Schönheit staune.

 

Leicht, wie ein zart Geweb vom Dornenzaune

Zerrissen wird, welkt Schönheit hin vor Sorgen;

Man quält sich mühvoll heut, denkt stets an morgen,

Daß nicht die Noth zu schrill ihr Liedchen raune.

 

Und wer nicht Sorgen hat, der schafft sich welche;

Es nagt ein Wurm an jedem Blumenkelche

Der Schönheit, - nur an deinem nicht, du Hehre!

 

O daß Gott rein dich, wie du bist behüte,

Und der Verwüsterin der Schönheitsblüte,

Der Zeit, an dich die Hand zu legen wehre!

 

 

III.

 

Nur wenige Helden rühmt uns die Geschichte,

Aufragend aus zahllosen Millionen

Von Alltagsmenschen die auf erden wohnen,

Und ruhmlos leben, ruhmlos gehn zunichte.

 

Nur wenige Frauen leben im Gedichte

Unsterblich – ob Sonette und Canzonen

Sie zahllos auch, in Hüten wie auf Thronen,

Gerühmt. Vor dem zerstörenden Gerichte

 

Der Zeit sinkt Schönheit hin, wie Heldenthum,

Wenn nicht des Sängers Geist groß wie der Ruhm,

Den er besingt. O, segne Gott mein Wort,

 

Daß es zu deinem Ruhm leb’ immerfort!

Wohl preis’ ich deine Schönheit im Gedicht,

Doch ach, mein Geist gleicht deiner Schönheit nicht!

 

 

 

 

Friedrich Martin                    An Hermann Lingg

von Bodenstedt                      (1856)

1819 – 1892

Man klagt, als ob die Fürsten des Gesanges

Gestorben wären und ihr Reich zunichte:

Derweil ein Urquell ewiger Gedichte

Aus deinem Busen quillt gewaltigen Klanges.

 

Dein hohes Lied, mein ganzes Herz bezwang es –

Ob du die großen Bilder der Geschichte

Vor uns entrollst, prophetische Gesichte

Des Völker-Auferstehns und Unterganges; -

 

Ob du von deinen Wonnen singst und Wehen,

Den Geist zu Gott erhebst im reinen Liede,

Daß uns Versöhnung überkommt und Friede:

 

Es giebt noch Herzen, die dich ganz verstehen,

Und jeder Priester am Altar des Schönen

Pflückt Lorbeern zu dem Kranz, um dich zu krönen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Martin                    Der Ararat

von Bodenstedt                     

1819 – 1892

I.

 

Um Hocharmeniens alte Königsstadt

Im ersten Frühlingsblühn prangt die Natur;

Still ist’s umher – Cicaden schwirren nur

Durch’s junge Grün – am Baum regt sich kein Blatt.

 

Hier sieht das Aug’ an Schönheit sich nicht satt:

Fernher blitzt des Araxes Silberspur,

Zum blauen Himmel ragt aus blumiger Flur

Die Majestät des hohen Ararat.

 

Zu seinen Füßen dehnen sich vier Länder;

Buntsamtne Au’n umschlingen als Gewänder

Die Knie – demanten schimmert seine Krone;

 

Der ewige Schnee umgürtet seine Hüfte,

Kaum wagen sich die Könige der Lüfte,

Die Adler, bis zu seinem Wolkenthrone.

 

 

II.

 

Zum Erstenmale von der Hochburg Zinnen

Sah ich den Gipfel der die Arche trug,

Da noch die Sündflut ihre Wogen schlug,

Daraus der Herr nur Noah ließ entrinnen.

 

Und wie ich stand in weihevollem Sinnen,

Schwang sich zum Licht ein Aar in stolzem Flug,

Und vor mir zog ein Karawanenzug

Wo klar der Sanga heilige Fluten rinnen.

 

Da plötzlich hielten Pferd’ und Dromedare,

Die Reiter in blauschimmerndem Talare

Hinsanken betend auf der Erde Schoß.

 

Und heilige Stille herrschte in der Runde,

Nur von der Stadt aus des Muezzin’s Munde

Erscholl’s vom Minarette: „Gott ist groß!“